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Archäologisches Mekka

Thüringen liefert authentische Einblicke für die Menschheitserforschung und zur Besiedlungsgeschichte.

Über Thüringen wird nicht allzu oft positiv berichtet. Auf das Wahlverhalten der Menschen, die komplizierten Mehrheitsverhältnisse im Landesparlament, den stetigen Bevölkerungsschwund oder den sterbenden Thüringer Wald haben sich die Medien zumeist eingeschossen, wenn es darum geht, über unseren Freistaat zu informieren. Ende Januar überschlugen sich aber die überregionalen und internationalen Medien geradezu mit Superlativen zu unserer Region. „Bild.de“ beispielsweise titelte: „Sensationsknochenfund in Thüringen schreibt Geschichte um“.

Anlass waren die spektakulären Funde, die bei archäologischen Grabungen in der Ilsenhöhle unterhalb der Ostthüringer Burg Ranis zutage gebracht wurden. Sie vermitteln uns neue Erkenntnisse über den landläufig als Homo sapiens bekannten modernen Menschen. Nämlich, dass dieser deutlich früher in Mitteleuropa lebte, als bislang angenommen wurde. Auch soll er ein Werkzeug erfunden haben, das die Wissenschaft bislang eigentlich dem Neandertaler zugeordnet hatte.

Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hatte diesbezüglich von der Entdeckung 45.000 Jahre alter Knochen des Homo sapiens berichtete. Bislang war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass der Homo sapiens erst vor rund 40.000 Jahren Europa besiedelte und hier nur vereinzelt früher auftauchte. „Bei Grabungen in der Höhle unterhalb der Burg Ranis im Zeitraum von 2016 bis 2022 fand ein Wissenschaftler-Team um den emeritierten Direktor des Leipziger Instituts, Jean-Jacques Hublin, tausende zersplitterte Knochenfragmente, darunter welche von Homo sapiens sowie von Tieren“, teilte mdr.de am 31. Januar 2024 mit.

Die Analysen von Knochen haben laut dem mdr.de-Bericht demnach auch ergeben, dass vor rund 45.000 Jahren in Mitteleuropa ein kaltes Kontinentalklima herrschte – mit Temperaturen, die etwa sieben bis 15 Grad Celsius unter den heutigen lagen: „Die frühen Homo sapiens-Gruppen seien aber in der Lage gewesen, sich an solch raue klimatische Bedingungen anzupassen.“ Nach den jüngsten Funden sind sich die Wissenschaftler nun auch in einer weiteren Sache sicher: Beidseitig bearbeitete Klingenspitzen aus Stein sind wohl keine Erfindung von Neandertalern. Dieses Werkzeug hat offenbar der Homo sapiens geschaffen.

„Fundamentales Umdenken zur Besiedlungsgeschichte”

Die Resultate der Forschungen führten zu einem „fundamentalen Umdenken zur Besiedlungsgeschichte am Beginn der Epoche des modernen Menschen und zu deren Zeitabläufen”, zitierte „sueddeutsche.de“ Tim Schüler vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Weimar anlässlich einer Pressekonferenz. Der Repräsentant des Landesamtes freute sich verständlicherweise darüber, dass die Fundstelle in Thüringen liege.

Der Sensationsfund von Ranis beweist: Thüringen ist ein archäologisches Mekka. Nicht zum ersten Mal wurde hier ganz Erstaunliches über die Menschheitsentwicklung und deren Vorgeschichte ans Licht der wissenschaftlichen Betrachtung befördert.

In den Jahren 1972/73 erlebte beispielsweise das im Landkreis Sömmerda gelegene Bilzingsleben seine archäologische Sensation. Damals fand Professor Dietrich Mania im Travertingestein des alten Steinbruchs die Überreste eines Urmenschen – den homo erectus bilzingslebenensis. Vor etwa 370.000 Jahren hatte dieser, den Funden nach zu beurteilen, seinen Lagerplatz am Nordrand des Thüringer Beckens und gehörte seitdem zu den frühesten Menschenfunden in Mittel- und Nordwesteuropa. Die Steinrinne Bilzingsleben zählt mittlerweile zu den außergewöhnlichen archäologischen und paläoanthropologischen Fundstellen in Europa. Eine beeindruckende Ausstellung gibt heute am authentischen Ort Einblick in das Leben des Urmenschen.

Das Fürstengrab von Leubingen ist heute eine Besucherattraktion im Landkreis Sömmerda.
Foto: Aschroet – Wikimedia Commons

Weitere nicht weniger aufregende Funde in Thüringen, zu denen für mich das Fürstengrab Leubingen gehört, schlagen den Bogen in die viel spätere Zeit. Die Nachfahren der Waldelefanten-Jäger von Bilzingsleben haben wissenschaftlichen Erkenntnissen nach als umherziehende Jäger und Sammler gelebt. Ein bahnbrechender Schritt zum Ackerbauern und Viehzüchter vollzog sich dann in der Jungsteinzeit. Jene „neolithische Revolution“ begann im 9. Jahrtausend vor Christus in Kleinasien. Um 5500 vor Christus sollen die ersten sesshaften Bauern in Thüringen aufgetaucht sein und besonders das fruchtbare Thüringer Becken zu schätzen gelernt haben.

Beschleunigte kulturelle Entwicklung

„So richtig startete die Zivilisation dann mit dem Metallzeitalter durch“, berichtet die Erfurt-Enzyklopädie „erfurt-web.de“. „Den Anfang machte die Bronzezeit seit der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. Aus dem schon länger bekannten Kupfer gewann man durch die Legierung mit Zinn das härtere Metall Bronze. Damit wurde die Effektivität von Werkzeugen und Waffen erheblich erhöht. Mit der Herstellung und Nutzung von Metall beschleunigte sich die kulturelle Entwicklung und soziale Differenzierung. Hiervon zeugt auch besagter Grabhügel bei Leubingen, der mit 8,50 m Höhe und 34 m Durchmesser als der größte in Thüringen gilt. Der Grabhügel, datiert auf 1940 v. Chr., war reich mit Beigaben aus Bronze und Gold versehen. Hier ruhte vermutlich ein Fürst, der über große Teile des Thüringer Beckens geherrscht haben könnte. Sein Reich gehörte zur Aunjetitzer Kultur mit der berühmten Himmelsscheibe von Nebra.“

Mit dem gefeierten Sensationsknochenfund verfügt Thüringen über einen weiteren Mosaikstein zur Erkundung der Menschheitsgeschichte. Darauf können wir hierzulande stolz sein. Es kommt aus meiner Sicht in Zukunft darauf an, die Fund- und Erlebnisstellen von Ranis, Bilzingsleben, Nebra (auch wenn dies nach unseren heutigen regionalen Strukturen nicht zu Thüringen, sondern zu Sachsen-Anhalt gehört) und Leubingen mit der vorhandenen touristischen Infrastruktur in unserem Bundesland zu vernetzen und professionell zu vermarkten.

Es könnte auch durchaus sein, dass Ranis nicht der letzte hochinteressante Fund in Sachen Entwicklung der Menschheitsgeschichte aus Thüringen gewesen ist. 

Zum Beitragsfoto: Das thüringische Ranis schreibt Geschichte: Bei Grabungen in einer Höhle unterhalb der Burg Ranis wurden aufsehenerregende Knochenfragmente gefunden. Foto: Ansgar Koreng -Wikimedia Commons