Startseite » Allgemein » Höhe bewirkt etwas! 

Höhe bewirkt etwas! 

Über die Mongolei

Als ich meinen Wunsch, die Mongolei zu besuchen, in Worte fasste, hatte ich ein Traumbild dieses Landes: große Weiten mit weitem Blick, Steppe, Sand und vielleicht auch Grün. Nun haben wir nach genau zwei Wochen dieses ganz besondere Land, über das ich in meinem Reisetagebuch ausführlich und detailliert berichte, wieder verlassen und ich kann mein Traumbild auf realere Füße stellen, obwohl ich noch nicht einmal die Hälfte des Landes ein wenig kennenlernen konnte. Das Land ist groß und sehr vielfältig.

Nie langweilig

Die erste materielle Gewalt, von der ich nichts wusste, ist die Höhe dieses Landes. Die mittlere Landeshöhe liegt nämlich bei etwa 1.580 Meter. Diese Höhe bewirkt etwas! Zusätzlich verstärkt wurde das Erlebnis, weil wir vom Westen des Landes in die Mongolei einreisten. Hier befindet sich das Altai-Gebirge mit extrem hohen Berggipfeln und Richtung China dem höchsten Berg der Mongolei, dem Chüiten-Gipfel mit 4.374 Meter. Die hohen Berge lassen jedoch viel Platz zwischen sich offen, so dass man immer noch weit sehen kann, und sie verändern ihre Farben je nach Wetterlage und Wolkenstand. So können sie ganz schwarz sein, wenn die Wolke direkt über ihnen steht und dann wieder ganz hell, wenn das Gestein dieses Berges hell ist und keinen Pflanzenbewuchs aufweist – oder wenn es sich um eine Düne handelt. Man könnte einfach an einer Stelle bleiben und tagelang die veränderten Farben der umliegenden Gipfel und Berge genießen. Es würde nie langweilig.

Die Höhe des Landes bewirkt etwas: dass es nämlich kälter ist, wenn es kalt ist. Je höher man kommt, desto kälter wird es. Wir waren in Bereichen höher als 2.500 Meter, und wenn die Sonne nicht scheint, dann ist es dort richtig kalt, auch mitten im Sommer. Die Nomaden haben deshalb in ihrem Ger – so heißt die Jurte in der Mongolei – einen Ofen stehen. Üblicherweise wird dieser mit Viehdung beheizt. Mit Viehdung kann man auch grillen, indem man ihn in ein Metallgestell einfügt, welches einem Eimer gleicht, allerdings mit „Luft dazwischen“, und dann einfach einen Spieß über diesen unkomplizierten Grill hält.

Ja, man braucht auf jeden Fall warme Kleidung für die Nacht, mehr noch als für den Tag, weil man dann unbewegt liegt. Warme Decken sind auch hilfreich, warme Socken sowieso. Wenn man friert, kann man nicht tief schlafen und wacht auch sehr früh wieder auf.

Wunderschöne Wolken

Etwas ganz Besonderes ist die Tatsache, dass die Landschaft und die Vegetation sich ständig verändert, oft innerhalb weniger Meter. Dies liegt wahrscheinlich an den verschiedenen Sand- und/oder /Geröllflächen, die sich mit der Zeit gebildet haben. Auch die Farbe und die Beschaffenheit der Steine, ob klein oder groß, können sich innerhalb kurzer Zeit ändern und sind auch oft innerhalb eines Geländes ganz unterschiedlichen.

Aber was das ganz Entscheidende ausmacht, sind die Wolken. Zum einen sind die Wolken wunderschön und heben sich bei klarem Himmel blütenweiß vom Blau des ganzen Himmels ab. Beides strahlt, das Weiß der Wolken und das Blau des Himmels. Dann bewegen sich die Wolken ja auch noch, und man selbst bewegt sich auch, insbesondere, wenn man im Auto unterwegs ist.  Besser kann man die Wolken jedoch genießen, wenn man an einer Stelle verbleibt.

Die Wolken sind das, was das ganz Entscheidende ausmacht.

Die Wolken sind wunderschön, eigentlich unbeschreiblich, weil sie auf einem Foto ja eindimensional wirken, in der Realität der Mongolei jedoch mehrdimensional erscheinen. Sie können hoch oder niedrig wirken und damit auch ein Gefühl auslösen. Nicht zu vergessen ist dabei noch der Wind, der die Wolken treibt und auch die Geschlöpfe auf der Erde tangiert. Er kann kühlen, aber auch schmerzen, er kann sanft oder kraftvoll sein. Er kann fehlen, was als gut oder schlecht empfunden werden kann.

Himmel spielt eine wichtige Rolle

Der Himmel spielt im Lebensgefühl der Mongolei also eine sehr wichtige Rolle. Er kann auch völlig unbewölkt sein und kann des nachts einen unglaublichen Sternenhimmel präsentieren. Insofern verwundert es nicht, dass aus dem Kerngebiet der Mongolei beziehungsweise von den Turk-Völkern in Zentralasien der sogenannte Tengrismus stammt, eine der ältesten schamanischen Religionen. Tengri ist die Bezeichnung für den Himmelsgott, einem Geist, der alles in der Natur Befindliche bewohnt. Tengri gilt als der Erschaffer und Hüter des kosmischen Gleichgewichts, und der Mensch ist geborgen im Einklang von Himmel und Erde, wobei der Himmel auf Mongolisch Tengeri heißt. Der Mensch drängt in dieser Welt nach Gleichgewicht.

Modernes New York

Dieses eben beschriebene Wissen habe ich jedoch erst später in Erfahrung gebracht. Es war mir sehr hilfreich, nachdem ich die Hauptstadt der Mongolei, Ulaanbaatar, kennenlernte. Mein erster Eindruck, als ich in die Stadt fuhr, war mit jedem Kilometer mehr die Empfindung, dass ich in ein modernes New York eintauche. Welch ein Unterschied zu meiner guten Woche Altai und dem Weg gen Osten! Nichts hätte ich weniger erwartet als das. Ulaanbaatar ist eine total moderne, aufgeschlossene, völlig zeitgemäße Großstadt, in der schon fast die Hälfte der Bevölkerung der Mongolei lebt, nämlich knapp 1,5 Millionen von 3,4 Millionen Menschen.

Im Nationalmuseum der Mongolei erfährt man sehr viel über die Entwicklung der mongolischen politischen Kultur und Geschichte, die insbesondere mit der Oktober-Revolution und dann der Entwicklung nach 1989 große Veränderungen hervorgebracht hat.

Mehr zur „Mongolischen Revolution” von 1990 kann man in einem über den nachfolgenden Link-Button abrufbaren Beitrag nachlesen:

Wikipedia

Man sollte aber hier erwähnen, dass der Wandel ab 1990 nicht Mongolische Revolution heißt, sondern Mongolische Volks-Revolution, weil die Mongolische Revolution mit der Errichtung eines Sowjet-Staates 1922 in der Mongolei schon als Begriff besetzt war. Man nennt die Ereignisse von 1990 insofern „Demokratische Revolution“.[1])

Die Mongolische Revolution von 1990, in der Mongolei als Demokratische Revolution von 1990 bekannt (mongolisch: 1990 оны ардчилсан хувьсгал, romanisiert: 1990 ony ardchilsan khuvisgal), war eine friedliche Revolution, die zum Übergang des Landes zu einem Mehrparteiensystem und dem Ende der Mongolischen Volksrepublik führte.

Unideologische Darstellung der Sowjet-Zeit

Was mich besonders berührte, war die bis heute unideologische Darstellung der Sowjet-Zeit wie auch der Zeit nach 1989. Nach meinem Eindruck werden alle Entwicklungen einfach nur „dargestellt“, ohne zu werten. Dies tat meiner Seele sehr gut, weil in Deutschland die Sitte höchst verbreitet ist, mit allen Darstellungen immer gleich eine Tendenz, eine Wertung, eine Richtung bestimmen zu wollen. Dies ist mir generell sowohl in der Mongolei als auch in den Tagen in Russland wie ein Geschenk vorgekommen:  Man stellt die Dinge, die nun einmal so waren, so dar, wie sie in den Augen der Menschen zu dieser Zeit waren. Gerade in unserem Verhältnis zur DDR wäre dies eine große Erleichterung und ein Balsam für die Seele, wenn wir zu dieser Haltung zurückkehren könnten.

So vermitteln Bilder den Alltag und die Fortschritte, die der Sozialismus mit sich brachte genauso wie die Bewegungen ab 1990, als große, wochenlange Demonstrationen in Ulaanbaatar wie auch der Region Veränderungen erzwangen.

Das Jahr 1990 brachte die friedliche Revolution in die Mongolei, inspiriert von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion. Viele junge Menschen engagierten sich und forderten ein Mehrparteiensystem und Demokratie. Dies führte zum Rücktritt der Einparteien-Regierung, zu Wahlen mit der Kandidatur mehrerer Parteien und danach zu einer Verfassung.

Stolz auf friedliche Umwälzung

Auf diese friedliche und erfolgreiche Umwälzung ist die Bevölkerung der Mongolei bis heute stolz und würdigt sie. Der Mord an dem beliebten Politiker Sanjaasürengiin Zorig im Oktober 1998, der am Tag nach seinem Mord eigentlich als Premierminister vereidigt werden sollte, zeigt die politischen Differenzen hinsichtlich der Zukunft der Mongolei. Es ging zu dieser Zeit besonders um Themen wie die Privatisierung der Nationalbank und die Privatisierung der Förderung von Bodenschätzen.

Vor Kurzem hatte die Mongolei schwerwiegende finanzielle Probleme, weil eine der wichtigsten Bodenschatz-Förderungen zu für die Mongolei sehr schlechten Bedingungen von einem internationalen Konzern mit langjährigen Verträgen fixiert wurde. Im Südostern der Mongolei gibt es nämlich eine der fünf größten Kupfervorkommen der Welt. Inzwischen gilt die Mongolei als eines der sieben rohstoffreichsten Länder überhaupt. Einer der weltweit größten Bergbaukonzerne, Rio TInto, ist bereits seit vielen Jahren im Land aktiv und hat die Verträge mit der Mongolei zu bestem Vorteil für den Konzern eingefädelt. Die besondere geografische Lage der Mongolei mit nur zwei Grenzen, nämlich zu Russland und zu China, macht sie zusätzlich zu dem Vorteil der Bodenschätze noch zu einem interessanten politischen und wirtschaftlichen Partner für viele Länder.

Ende Dezember 2022 gab es Massenproteste, als bekannt wurde, dass Vermögen in Milliardenhöhe vom staatlichen Kohlebergbau gestohlen wurde. Gerade jetzt, als wir in der Mongolei waren, wurde gewählt. Die Wahlen sind für viele Mongolen ein wichtiges Datum. Die Banken waren geschlossen und viele Bürger zogen sich Festkleidung an, um an den Wahlen teilzunehmen.

Gelebte Toleranz

Nun möchte ich auf den Widerspruch zwischen einem Leben der Nomaden ohne Strom und Internet und dem Leben in der Großstadt zurückkommen: Ein Miteinander dieser beiden Lebensformen ist durch die sehr starke Toleranz und Akzeptanz aller Mongolinnen und Mongolen möglich. Diese Grundhaltung der Menschen in der Mongolei war überall sichtbar und spürbar. Auch gibt es Städter, die ein halbes Jahr dort und ein halbes Jahr auf dem Land verbringen. So lässt der Winter Tourismus-Anbieter ohne Einkommen. Sie gehen dann in die Stadt während der Tourismus-Zeit zurück und vermieten z.B. ihr Hotelzimmer oder Ger-Camp. Auch gibt es Städter, die sich entscheiden, für eine längere Zeit wieder ein Nomadenleben zu führen, und es gibt Nomaden, die mit ihrem Ger an die Stadtränder ziehen.

Auch ist die große Hilfsbereitschaft insbesondere auf dem Land von großer Bedeutung. In der Stadt ist dies durch die städtische Individualisierung weniger sichtbar. Dort herrscht schon das typische Konsumverhalten, zumindest oberflächlich. Doch wie mir eine Gesprächspartnerin versicherte, versteht sich die mongolische Bevölkerung bis heute trotz der verschiedenen Lebensweisen ohne viel Aufhebens.  Ich hoffe sehr, dass dieses Geschenk den Menschen in der Mongolei auch weiter erhalten bleibt. Sie haben es sich durch ihre jahrtausendealte Kultur bis heute erhalten und sind durch dieses Leben von Toleranz, ja Akzeptanz sowie durch ihre Hilfsbereitschaft und Mitgefühl in einer glücklichen Lage.

Erklärung:

[1] Nach der mongolischen Revolution von 1921 wurde die kommunistische Mongolische Volkspartei dominant und formte 1924 einen sozialistischen Einparteienstaat unter starkem sowjetischen Einfluss. Repressive Maßnahmen zielten auf Demokraten, Buddhisten und Intellektuelle, religiöse Praktiken wurden verboten, Klöster zerstört, Städte aufgebaut und Industrialisierung sowie Alphabetisierungsprogramme vorangetrieben. Führer wie Tschoibalsan und Tsedenbal stärkten die Bindung zur Sowjetunion. Wirtschaftliche Reformen ab 1984 fanden wenig Anklang.

Die Revolution von 1990, inspiriert von osteuropäischen Reformen und angeführt von jungen Menschen und der Mongolischen Demokratischen Union (MDU), begann mit einer Demonstration am 10. Dezember 1989 in Ulaanbaatar. Gefordert wurden ein Mehrparteiensystem, freie Wahlen, Marktwirtschaft, Privateigentum und Menschenrechte. Im Januar 1990 erreichten die Proteste ihren Höhepunkt mit großen Demonstrationen und einem Hungerstreik. Am 12. März trat das Politbüro zurück, was den Weg für die ersten Mehrparteienwahlen im Juli 1990 ebnete.