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Kriegsvergessen – Kriegsversessen


Es ist ganz einfach: Wenn ein Land oder eine Kultur vergessen hat, was ein Krieg bedeutet, ist es wieder möglich, die Menschen in den Krieg zu führen. Krieg bedeutet für die meisten Menschen Tod von Familienangehörigen, Freunden oder Nachbarn, Einwohnern oder Kollegen. Verkrüppelung, Leid von denen, die ihre Liebsten verloren haben. Armut. Hunger. Krankheit. Hass, Wut, Leid, Trauer, Hoffnungslosigkeit. All das wünschen die, die jetzt den Krieg laut herbeirufen und bejubeln, denen, die ihn führen müssen. Das ist verantwortungslos und grausam.

Wie konnte unsere Nation so tief fallen?

Ich erinnere mich lebendig an das Glück und die Großzügigkeit alle Menschen in Deutschland nach dem Fall der Mauer. Die Menschen aus Ost und West haben sich viel Mühe gegeben, einander zu verstehen. Wir alle hatten die Chance eines Neubeginns, eines Lebens in Wohlstand und Frieden, guter Nachbarschaft und gegenseitiger Hilfe.

Abb. 1 Berliner Mauerfall

Was ist schiefgelaufen?
Es war der Beitritt. Anstatt dass zwei Partner sich in einen gleichberechtigten und bereichernden Austausch begeben haben, bereit voneinander zu lernen und sich nach über 40 Jahren Trennung zu verstehen, hat die eine Nation zugestimmt, Teil der anderen zu werden. Es gab also keine Wiedervereinigung, so wie es das Grundgesetz an seinem Ende ganz ausdrücklich vorsieht. Nicht nur das politische, auch das wirtschaftliche System wurde den neuen Bundesländern von oben diktiert.
Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Treuhand. Sie sorgte dafür, dass alte und neue westdeutsche Eliten Vorteile erhielten.
(Siehe dazu Das Treuhand Trauma – Die Spätfolgen der Übernahme von Yana Milev, Berlin 20)

Der Beitritt

Der Beitritt bewirkte, dass die eine Seite wusste, wie alles funktioniert – und die andere Seite vieles lernen musste, was in dem neuen anders als in dem bisherigen System funktioniert. Das konnte besser oder schlechter sein als in dem bisherigen Leben – es was gesetzt. Das bewirkte bei der einen Seite das Gefühl der Stärke, bei der anderen Seite das Gefühl der Schwäche und im schlechtesten Fall Frustration, weil das „Leben vorher“ schöner, besser oder einfach anders war. Doch damit nicht genug. Vielfach setzte sich bei denen, die das bis jetzt alles beherrschende westdeutsche System kannten, eine Haltung der Überlegenheit durch, die dann langsam zur Gewohnheit werden konnte und schließlich vielleicht dazu führte, dass man an die andere Vergangenheit der anderen Seite mit ihren anderen Erfahrungen gar nicht mehr zu denken bereit war.

Eigenlich ist das alles ein ganz normaler Prozess. Etwas wird zur Gewohnheit und etwas gerät in Vergessenheit. Doch in unserem vereinten Deutschland ist das nicht so einfach.

Eine Nation

Wir wollen jetzt eine Nation sein – Deutschland – doch die einen haben die anderen kolonialisiert. Das ist eine Tatsache und nicht abzustreiten. Schauen wir uns die Definition von Kolonisation im Lexikon der Geographie an: „Kolonialismus beinhaltet die territoriale Machterweiterung eines Staates (Kolonialmacht) durch den Aufbau und die langfristig ausgelegte militärische, wirtschaftliche und/oder politische Kontrolle der unterworfenen Bevölkerung (Imperialismus).“[1] Von vielen Familien der neuen Bundesländer können wir persönliche Geschichten von Verlust, Entbehrung, Existenzangst und in fast allen Familien Geschichten von radikalem Neubeginn hören. Die meisten Menschen des Ostens waren bereit, dies auf sich zu nehmen, weil sie sich Wohlstand, Frieden und Freiheit erhofften – auf jeden Fall für ihre Kinder und Enkelkinder. Was ist nun daraus geworden?

Der Sieg

Die Entwicklungen und Möglichkeiten nach 1989 wurden zunehmend zur Selbstverständlichkeit: „Der Westen“  hatte gesiegt. Mit dieser Sieger-Attitüde ging der Westen nun daran, den Osten der DDR und übrigens auch die anderen osteuropäischen Länder zu beglücken. Das westliche System setzte sich überall durch. Der Kapitalismus wurde zur Selbstverständlichkeit. Einen kapitalen Fehler haben unsere politisch Verantwortlichen wie auch viele Mitbürger im Laufe der Jahre begangen: sie sind mehrheitlich nicht mehr dankbar. Dankbar sollten wir aber der Sowjetunion sein, dass sie sich nach 1989 zurückgezogen und abgerüstet hat. Dankbar sollten wir den DDR-Bürgern sein, die über viele Jahre den gesamten Anteil an Reparationen an die in weiten Gebieten total zerstörte Sowjetunion tragen mussten und trotzdem ein wirtschaftlich stabiles Land wurden. Dankbar sollten wir den Bürgern der alten Bundesländer sein, dass sie die Zahlung von Entschädigungen für Holocaust-Opfer sowie sämtliche Reparationen für den 1. Weltkrieg übernahmen. Dankbar sollten wir den beiden Generationen sein, die diesen Aufbau erfolgreich bewerkstelligt haben.

Die Arroganz

Es gibt in unserem wunderschönen Land inzwischen eine mächtige Gruppe, die von sich annimmt, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben. Sie meint, dass sie andere Meinungen gar nicht mehr hören muss, weil sie naturgemäß immer Recht hat. Sie hat nicht gelernt, sich selbst kritisch zu sehen, weil sie in einem Land groß geworden ist, welches Kritik und Selbstkritik verlernt hat. Die besagten zwei Generationen haben hart gearbeitet und weiter aufgebaut und ihre Kinder haben gelernt, dass Geiz geil ist, Wettbewerb jeder gegen jeden normal ist und dass der Schwächere eben Pech gehabt hat.

Selbstkritik bedeutet, von sich selbst Abstand zu nehmen und sich bei seinem eigenen Treiben zu beobachten. Mache ich alles richtig? Habe ich Fehler gemacht? Was kann ich besser machen? Beim Leistungssport wie beim Unternehmertum ist Selbstkritik der unabdingbare Garant des Erfolgs. In unserem Land ist Selbstkritik inzwischen eher Anlass dazu, vom anderen zusätzlich Prügel zu erhalten. Alle wollen die Besten sein.

Die, die sich dieser Lebensphilosophie hingeben, sind für Ideologie sehr anfällig. Ideologie, die ihnen schmeichelt, sie vermeintlich lobt, emporhebt, um sie dann in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das ist uns in Deutschland widerfahren.Ich habe dazu kürzlich ein Gedicht geschrieben. Es heißt Deutschland 2025 und geht wie folgt:

Die Deutschen übten Gehorsamkeit
In vielen hunderten Jahren
Das brachte ihnen Gelehrsamkeit
bei der sie führend waren

Gehorsam bis zum heutigen Tag
Gehorchen sie dem, was da kommen mag
Wenn es nur ganz von oben ertönt
Und mit einer Drohung mächtig dröhnt

Das ist uns nun allen sattsam bekannt
Und unzufrieden sind viele im Land
Die Gehorsamkeit wird zur Schlachtbank uns führen
Das ist nun allerorten zu spüren

Was nun erwachsen muss ist der Mut
Die Liebe zum Leben gibt ihn her
Das Wörtchen „nein“ ist dabei gut
Und Freiheit atmen, immer mehr.

Wir sind die Besten

Weil wir die Besten sein wollen, müssen wir in allem besonders gut sein. Besonders viele Impfstoffe, besonders viele Verbote, besonders viele Waffen, besonders viele Opfer bringen. So sind wir auf dem Weg, nicht zur kriegstüchtig, sondern auch noch kriegssüchtig zu werden. Die Sucht nach immer mehr ist dieser Haltung innewohnend.

Ein anderer Aspekt kommt hinzu: die Scheu, deutsch zu sein, weil wir unter der Last unserer Geschichte leiden. Die Scham, sich zu Deutschland zu bekennen, weil man mit dem Finger auf uns zeigen könnte.

Da ist es dann eigentlich nicht verwunderlich, dass das fehlende Nationalgefühl mit Leidenschaft auf die Ukraine übertragen wird. Dort darf man plötzlich „Heil Ukraine“ rufen, die Fahne zeigen, nationale Lieder singen – und das Hakenkreuz tragen. Dort darf man wieder Fackelzüge machen, Menschen wegen ihrer Gesinnung aus dem Fenster werfen, Korruption und Menschenhandel betreiben, schießen und ermorden, Russisch in Wort und Schrift, ja selbst die orthodoxe Religion verbieten, in einem Wort: die Russen hassen. Die niedrigsten Instinkte werden geduldet.

Obwohl diese Tatsachen allen bekannt sein könnten, wollen es hier in Deutschland viele nicht wissen, denn wir sind doch treu bis in den Tod. Wie treu, sieht man an der Beflaggung vor der Residenz unseres Bundespräsidenten mitten in Berlin.

Gier

Gibt es Hoffnung? Der Weg in die Kriegs-Sucht ist nur durch Vernunft zu stoppen. Innehalten. Stehenbleiben und dann: verstehen. Nicht nur sich verstehen, auch die anderen verstehen. Die, die vermeintlich Unrecht haben, die, die vermeintlich Gegner oder gar Feinde sind. Nachdenken: warum sagen sie dies? Warum handeln sie so? Warum sage ich das? Warum handele ich so?

Meine Hoffnung liegt darin, dass wir die Chance ergreifen, jetzt innezuhalten und uns einem ernsthaften und aufrechten Dialog widmen, der zum Ziel hat, die richtigen Lösungen zu finden, die Deutschland jetzt braucht, um damit wieder ein zuverlässiger Partner in Europa und in der Welt zu sein. Dazu gehört zuallererst und ganz besonders Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Diplomatie.


[1] www.spektrum.de/lexikon/geographie/kolonialismus/4238

B ildnachweise:
Abbildung 1: Von RIA Novosti archive, image #475738 / Yuriy Somov / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18134949
Abbildung 2: Schloss Bellevue – Klaus-Dieter Böhm
Beitragsbild: Guernica – Copyright: Pablo Picasso – Guernica – 1937 – Museo Reina Sofía, Madrid